Stimmen aus dem Off: ensemble / zusammen
von Monika GintersdorferAnfang März 2020 haben wir uns nach der letzten gemeinsamen Vorstellung von Nana kriegt keine Pocken in Paris müde und eher glücklich getrennt und jede*r ist „heim“-gefahren. Einige mussten dafür nur die nächste Metro nehmen und andere bestiegen die Flugzeuge nach Abidjan, Berlin, Bremen, Wien, New York, L.A. und Mexiko City.
Wir verabschiedeten uns also, bisou bisou, und waren nicht allzu traurig, weil wir vier Wochen später in Bremen die nächsten Nanas spielen sollten.
Dann kamen die Absage der Vorstellungsdaten, Corona-Ausgangsbeschränkungen und der Reisestop. Die Folgen: Aufenthaltsgenehmigungen können nicht rechtzeitig verlängert werden, sie verfallen genauso wie die schon gebuchten Flüge zu den Vorstellungen. Einfach Puff – einige von uns sind seit April papier- und arbeitslos zugleich.
Wo ist die transnationale Gruppe jetzt, die wir seit vier Jahren aufgebaut haben?
Sie zerschellt gerade an den national gedachten Regelungen, die sich überall zumindest temporär durchsetzen. Die Corona-Bestimmungen machen uns unsere Abhängigkeiten und die Fragilität unserer Verhältnisse noch einmal so richtig bewusst. Wir sind geübt, Restriktionen auszuhalten; manche Visa und titre de séjour haben wir nicht rechtzeitig bekommen und mussten die enttäuschten Performer*innen deswegen umbesetzen. Nur: da traf es einen oder zwei, nicht alle gleichzeitig.
Wenn wir in absehbarer Zeit nicht mehr reisen können, dann crasht das Leben zwischen den Kontinenten, das Kern unserer Arbeit und mittlerweile auch unseres künstlerischen und persönlichen Selbstverständnisses ist.
Eine sehr unangenehme Vision, die das Konstrukt, auf dem nicht nur die einzelnen Künstler*innen, sondern auch ihre Familien und Wahlfamilien, ihre Liebesbeziehungen und finanziellen Absicherungen beruhen, zerplatzen lässt.
Eine Rückkehr in eine lokale Existenz ist ein Albtraum für uns, wir wollen die transnationale Arbeit fortsetzen, um einer eurozentristischen Welt und Kulturauffassung etwas Vielstimmiges entgegenzusetzen. Nicht nur in der Theorie, sondern in jedem Moment unseres Zusammenseins. Wir sind ein Ensemble, ein Ensemble ohne festen Spielort. Niemand ist für uns verantwortlich, keine Stadt, keine Institution. Wir können nur zusammen sein, wenn wir reisen dürfen und wir können nur reisen, wenn wir Arbeit haben und die Grenzen offen sind.
In Corona-Zeiten siegt das Formelle und Konforme: die Verheirateten, die Angestellten, die Steuerzahler*innen, die in Deutschland gemeldeten und die über die Künstlersozialkasse (KSK) versicherten Mitglieder können erfasst und im besten Falle auch unterstützt werden. Für viele von ihnen bleibt es trotzdem schwierig. Aber was ist mit denen, die dazwischen liegen, die Doppel- und Trippel-Identitäten ohne ablesbaren Status, die Nicht-Kategorisierbaren?
Wie kann man jungen La Fleur-Mitgliedern wie Alaingo, Ordinateur, Annick das Reisen aus Klimagründen unter- sagen? Reisen, die sie überhaupt erst seit kurzem machen können, Reisen, mit denen sie ihre Arbeit und Familie verbinden. Reisen, die die europäische Abschottungspolitik immer wieder verhindern kann. Transnationalität und Klimasorge dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern wir müssen neue Balancen finden. Fürs Klima würden wir gerne weniger reisen, das könnte gehen, wenn die Theater ihre Termine untereinander abstimmen würden. Das könnte gehen, wenn wir Stipendien und Wohnungen hätten, in denen man länger an Orten bleiben kann und nicht dauernd hin und her hetzen muss.
Die Regisseurin Monika Gintersdorfer wird mit einer Gruppe Tänzer*innen Teil des Ruhr Ding: Klima 2021 sein.